Das Theater der Grausamkeit
Antonin Artaud stellte das Konzept des Theaters der Grausamkeit von 1931 in seiner Textsammlung Le Théâtre et son Double 1938 vor. Es zielt auf eine Ritualisierung der Bühne – und damit auf eine Rückkehr des Dramas zu seinem kultisch-religiösen Ursprung. Ziel des Theaters der Grausamkeit ist es, den Zuschauer zu einer existentiellen Grenzerfahrung zu führen. Dafür verklagte Artaud ein Theater, das durch eine spezifische Gebärdensprache „das Leben zu ergreifen“ vermochte. Der Dramatiker und Regisseur sollte als „Meister der heiligen Zeremonien“ die Funktion haben, die im Individuum und im Kollektiv latent vorhandenen Bilder und Ideen als „Traumfänge“ magisch zu projizieren. Die „Grausamkeit“ eines solchen théâtre de la cruauté besteht nicht in der Aufführung eines möglichst blutrünstigen Spektakels, sondern in dem Zwang zu einer intellektuell-metaphysischen Auseinandersetzung des Zuschauers mit seinen eigenen Obsessionen. Das Geschehen auf der Bühne erhält rituelle und magische Funktionen, und sein Ziel ist es, Grenzen aufzuheben. Das Kathartische in Artauds Theater hat fast exorzistische Züge, die Rezeption muss berauschend sein, die ästhetische Erfahrung muss abschalten und die Kontrolle des bürgerlichen Bewusstseins unterlaufen. Artaud hat sich ein Spektakel ganz aus der Dynamisierung des Raumes, aus Bildern, Masken und nonverbaler Körpersprache heraus vorgestellt – und setzt damit einen Kontrapunkt zu Brechts Konzeption des Verfremdungseffekts.